Stadtentwicklung Zürich – zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Von Ella Hendriksen & Nina Formosa Ventura, Klasse 5b, Gymnasium Freudenberg / November 2024
«Smarte Partizipation» wird in der Stadt Zürich grossgeschrieben. Jedoch wissen nur wenige, dass sie zur Zukunft Zürichs beitragen können.
Der Hallwylplatz in der Stadt Zürich ist bekannt als Ort für die Mittagspause unter den dort Arbeitnehmenden. Für die Anwohnenden ist es ein Gemeinschaftsort, wo sie ihre Sommerabende verbringen.
Die Stadt Zürich möchte ihre Bevölkerung frühzeitig und aktiv in städtische Entscheidungen einbinden. Einladungen zu Workshops, Online-Portale zur Partizipation und Pilotprojekte: Zürich bietet zahlreiche Möglichkeiten, sich an der Stadtentwicklung zu beteiligen. Dennoch fühlt sich ein Grossteil der Zürcher Bevölkerung mit ihren Ideen nicht gehört, wie auch Aussagen aus Strasseninterviews am Hallwylplatz zeigen. Warum gute Ideen jedoch oft scheitern und wie die Stadt gemeinsam mit ihrer Bevölkerung das Gleichgewicht zwischen Wachstum und Nachhaltigkeit finden will, erklärt Günther Arber, Stellvertretender Direktor des Departements für Stadtentwicklung.
Günther Arber, Leiter Gesellschaft und Raum, Stv. Direktor Stadtentwicklung. Die Stadtentwicklung ist Teil des Präsidialdepartements, welches direkt der Stadtpräsidentin Corine Mauch unterstellt ist.
«Philosophie der Mitsprache»
Arber erklärt: «Die Schweiz hat eine relativ ausgebaute Mitwirkungskultur, das heisst, die Bevölkerung hat Anrecht auf Mitsprache.»
Doch nicht immer funktioniert es wie gewollt: «Teils werden die Vorschläge abgelehnt, da sie schlichtweg nicht machbar sind – rechtlich oder weil sie zu teuer sind. Andererseits können sich gute Ideen manchmal nicht durchsetzen, da der Erfolg solcher Projekte auch vom Rückhalt in der Bevölkerung abhängt», erklärt Arber und spricht damit Projekte an, wie etwa «Zürich autofrei», welche auf viel Widerstand stossen.
Die Stadt legt viel Wert auf die Strategie «Smarte Partizipation», welche nicht rechtlich vorgegeben ist, sich aber auszahlt. «Wir vertreten die Philosophie der Mitsprache von Anfang an, doch dies war nicht immer so.» Arber blickt in die Vergangenheit: «In den Neunzigerjahren erlebte die Stadt eine grosse Abwanderung – die Steuern waren hoch, die Lebensqualität tief.»
Vom Tiefpunkt zur Weltoffenheit
1990 lebten weniger als 360‘000 Menschen in der Stadt (Heute: ca. 450'000). Nach Steuersenkungen und gezielten Investitionen in den öffentlichen Raum sowie in städtische Wohnliegenschaften gewann die Stadt Zürich wieder vielfältigere Lebensräume und erlebte eine Reurbanisierung.
Graphische Darstellung der Bevölkerungszahl in der Stadt Zürich (mit deren Tiefpunkt im Jahr 1990). Nachher geschah eine Reurbanisierung durch die verbesserte wirtschaftliche und politische Situation.
Die rechtliche Strategie der Stadt Zürich aus dem Jahr 2015 folgt dem Ziel eines attraktiven Wirtschaftsstandortes, nachhaltigem Wachstum und stabilen Finanzen.
«Die Stadt Zürich möchte international als offen und tolerant wahrgenommen werden und als Ort der Bildung gelten», meint Arber.
Die Strassenumfrage zeigte auch, dass viele Anwohnende diese Aufwertung des öffentlichen Raumes für ein gutes Zusammenleben als förderlich empfinden. Dies wurde auch von Befragten, die nicht am Hallwylplatz wohnen, bestätigt, indem sie vorschwärmten, sie würden sich ebenfalls einen solchen Quartierplatz bei sich zu Hause wünschen.
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit – die Budgetfrage
Laut Stadtrat Daniel Leupi (Grüne) liegt das Ziel darin, zwischen den Wünschen der Bevölkerung und dem Finanzhaushalt der Stadt zu vermitteln: «Die hohen Steuereinnahmen zeigen, dass Zürich als Lebens-und Wirtschaftsstandort prosperiert. Dieses Wachstum braucht jedoch eine Balance zwischen steigenden Investitionsausgaben und gesicherten Steuereinnahmen», sagte Leupi im März 2024 in einer Medienmitteilung.
Die meisten Projekte werden vom Gemeinderat initiiert, der die Bevölkerung vertritt. Diese Wünsche fliessen natürlich auch ins jährliche Budget ein, über welches der Gemeinderat entscheidet. «Wir geben ihm eine Liste mit all unseren Projektideen für das nächste Jahr und er entscheidet, was bleibt und was gestrichen wird», erklärt Arber. «Wenn bei gewissen Ideen das Budget überschritten werden sollte, schaut sich dies der Gemeinderat an und eventuell gibt es dazu eine Volksabstimmung», so Arber. Also liegt die Entscheidung beim Volk. Bei unserer Strassenumfrage hat sich gezeigt, dass viele Leute eine Verschönerung befürworten, dafür aber nicht viel Geld ausgeben möchten.
«Wir wissen nicht, wem wir unsere Ideen mitteilen können.»
Vor wenigen Jahren versuchte es die Stadt mit einem Pilotprojekt (u.a. finanziell unterstützt vom Jubiläum der Zürcher Kantonalbank), in welchem die Bevölkerung nach ihren Ideen zur Quartierverschönerung gefragt wurde, doch das Pilotprojekt setzte sich nicht durch. Die Ideen der Bürger waren nicht tragfähig, der finanzielle Aufwand zu gross. Arber äussert seine Meinung zu solchen Mitwirkungsprojekten: «Ich bin da eher ambivalent, ich finde es grundsätzlich eine gute Idee, doch in einer Stadt wie Zürich gibt es bereits sehr viele Möglichkeiten seine Ideen einzubringen.»
Diese Mitsprache erfolgt auch durch die 25 Quartiervereine, welche von der Stadt Geld erhalten, um gewisse kleinere Projekte durchzuführen.
Pilotprojekte der Stadt Zürich laufen in der Regel während zwei bis drei Jahren und während dieser Zeit werden ebenfalls von der Stadt organisierte Workshops mit der Bevölkerung durchgeführt, wo jede und jeder Ideen einbringen kann.
Die Auffordung zur Mitwirkung ist bei der Bevölkerung nicht präsent. Am Hallwylplatz sagt ein Anwohner: «Wir wissen nicht, wem wir unsere Ideen mitteilen können.»
Auf der Webseite der Stadt Zürich: Das Portal zu allen aktuellen und vergangenen Projekten und Veranstaltungen. Hier sind die Pilotprojekte der Quartierblöcke (Aktuelles Pilotprojekt, welches sich mit den Quartierstrassen beschäftigt) dargestellt.
Stadt der Zukunft
Die heutige Vision der Stadt Zürich ist eine Stadt, welche Nachhaltigkeit, Wohnraum und Arbeitsplätze in Einklang bringt. Zürich verfolgt die 17 Ziele aus der «Agenda 2030» (siehe Kasten unten). Arber: «Ob wir diese Ziele erreichen, hängt massgeblich auch von uns als Bevölkerung ab – was tragen wir für Kleidung, was essen wir, wie oft fliegen wir? Was vielen Leuten Mühe macht, ist, ihr Leben anzupassen.» Die Stadt muss diese und viele andere Hürden überwinden auf ihrem Weg zu einer nachhaltigen, zukunftsorientierten Entwicklung: «Es wird versucht, das Geld möglichst gut einzusetzen und attraktive Lebensräume zu schaffen. Das Thema Wohnpolitik ist momentan unsere Hauptbeschäftigung, da die steigende Bevölkerungszahl mehr Wohnraum fordert, aber ein Grossteil der Bauzonen schon ausgeschöpft sind.»
Arber wünscht sich «eine Stadt, welche den Klimaschutz konkret angeht. Zürich soll preisgünstigeren Wohnraum bieten und ebenfalls ein Arbeitsort bleiben, um die lokale Wirtschaft zu stärken. Es ist und bleibt keine Option, alles ins Ausland auszulagern. Projekte, welche die Mobilität, die Wirtschaft und die Nachhaltigkeit betreffen, sollen künftig ausgebaut werden.»
Zürich verfolgt mit der Strategie der „Smarten Partizipation“ eine ambitionierte Vision: eine Stadt, die ihre Bevölkerung in die Zukunftsgestaltung einbezieht und auf Nachhaltigkeit und Lebensqualität setzt. Doch das schnelle Wachstum der Stadt bringt Herausforderungen mit sich – etwa die angespannte Wohnsituation und die Balance zwischen Investitionen und Finanzstabilität. Damit Zürich als Lebens-und Wirtschaftsstandort attraktiv bleibt, braucht es eine enge Zusammenarbeit von Stadt und Bevölkerung und klare Prioritäten für die kommenden Jahre. Damit dies ohne grosse Probleme funktioniert, braucht es mehr Kommunikation seitens der Stadt, aber auch mehr Verständnis der Bürger*innen.
„Die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) ist ein globaler Plan zur Förderung nachhaltigen Friedens und Wohlstands und zum Schutz unseres Planeten. Seit 2016 arbeiten alle Länder daran, diese gemeinsame Vision zur Bekämpfung der Armut und Reduzierung von Ungleichheiten in nationale Entwicklungspläne zu überführen. Dabei ist es besonders wichtig, sich den Bedürfnissen und Prioritäten der schwächsten Bevölkerungsgruppen und Länder anzunehmen - denn nur wenn niemand zurückgelassen wird, können die 17 Ziele bis 2030 erreicht werden.“