Zwischen Adrenalin und Aufmerksamkeit – wie eine Polizistin einen Angriff verarbeitet hat

Von Liliane Dubs / Freies Gymnasium Zürich / Im Tages-Anzeiger publiziert am 28.02.2024


Bei einer unbewilligten Demo vergangenen April wurde eine Zürcher Stadtpolizistin verletzt. Doch Videos machen ihr mehr zu schaffen als die Gewalterfahrung.

Während des Einsatzes im vergangenen April wird die Polizistin an der Langstrasse von einem Molotowcocktail getroffen. 
Foto: Jonathan Labusch 

Die Polizistin stand an der Kreuzung, ihre Kollegen neben ihr. Dann passierte es.

«Ich sah die Demonstrierenden kommen, wie eine Welle. Steine und Molotowcocktails flogen uns entgegen. Wir mussten aufpassen, dass diese uns nicht trafen. Plötzlich spürte ich eine Flüssigkeit am Bein. Es begann zu schmerzen. Die Demonstrierenden kamen immer näher. Wenig später gelang es uns, einen grossen Teil von ihnen einzukesseln. Nach dem Einsatz spürte ich immer noch das Brennen an meinem Bein. Als ich mein Hosenbein heraufzog, war mein Bein hochrot.»

So erinnert sich eine Beamtin der Stadtpolizei Zürich beim Gespräch in der Urania-Wache an jenen Einsatz im vergangenen April, bei dem sie als eine von mehreren Einsatzkräften verletzt wurde. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes bleibt die Polizistin in diesem Artikel anonym.

An jenem späten Samstagabend bewegt sich ein Mob von mehreren Hundert Demonstrierenden durch die Heinrichstrasse in Richtung Langstrasse. Bei der Polizei gehen mehrere Meldungen ein. Nachdem die Polizistinnen und Polizisten eingetroffen sind, rufen sie schnell Verstärkung herbei.

Als die ersten Einsatzkräfte der Polizei auf den Mob treffen, rufen sie schnell Verstärkung herbei.  Foto: Jonathan Labusch

Dann erhalten mehrere Mitarbeitende der Stadtpolizei die Anweisung, eine Kette zu bilden, um zu verhindern, dass die Demonstrierenden an einer Kreuzung weitergehen können. Die Polizei wird darauf mit Eisenstangen, Steinen, pyrotechnischen Gegenständen sowie Molotowcocktails attackiert. Später können die Einsatzkräfte die Demonstrierenden einkesseln, und mit der Hilfe von Wasserwerfern kann die Situation aus Sicht der Polizei unter Kontrolle gebracht werden. 

Während der Demonstration und der Personenkontrolle werden sieben Mitarbeitende der Stadtpolizei Zürich verletzt. Unter anderem die junge Polizistin, die am Bein von einem Molotowcocktail getroffen wurde. Nach dem Einsatz muss sie zur Behandlung ins Spital. Welche Substanz dieser Molotowcocktails enthielt und wer ihn geworfen hatte, konnte bis heute nicht geklärt werden. 

Stresstest schon bei Auswahl  

Die Stadtpolizei Zürich trägt täglich zur Sicherheit in der Stadt Zürich bei, indem sie für die Einhaltung von Recht und Ordnung sorgt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in der Lage, sich den Herausforderungen zu stellen, und unterstützen die Bevölkerung in schwierigen Situationen.

Polizistinnen und Polizisten erleben aber auch tagtäglich belastende Situationen. Sie müssen andere schützen, schnell handeln. Sie sehen die Abgründe der Menschen. Deshalb kommt der mentalen Gesundheit von Angehörigen der Stadtpolizei Zürich eine grosse Bedeutung zu.

Schon beim Auswahlverfahren zur Ausbildung bei der Polizei werden Tests gemacht und Gespräche geführt, um zu sehen, ob die möglichen Kandidatinnen und Kandidaten mental gesund und geeignet sind. Während der Ausbildung lernen die künftigen Mitarbeitenden im Fach Psychologie, wie man selbst mit stressigen Situationen umgehen kann.

Bei der Piazza Cella an der Langstrasse konnte der Mob eingekesselt und die Situation aus Sicht der Polizei mit Wasserwerfern unter Kontrolle gebracht werden. Foto: PD

Nach Aussagen von Heinz Dinkelacker, Chef der Abteilung Arbeits- und Polizeipsychologie der Stadtpolizei Zürich, können die Mitarbeitenden später, während der Berufsausübung, Weiterbildungen, Sport- und Bewegungsangebote sowie auch Angebote in den Themenbereichen Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz nutzen. Regelmässige psychologische Schulungen schreibt die Stadtpolizei Zürich keine vor. Kursangebote zur mentalen Gesundheit gibt es aber auf jeder Abteilung: Jede Polizistin und jeder Polizist kann zum Beispiel zum Thema Burn-out-Prävention Programme, Fortbildungen oder Sitzungen buchen. 

Teams, die einer sehr hohen Belastung ausgesetzt sind, erhalten Unterstützung von den Psychologen. Heinz Dinkelacker sagt: «Diese Teams unterstützen wir entweder mit Coaching-Angeboten oder auch im Selektionsprozess bei der Auswahl neuer Mitarbeitender. Teilweise kommen da auch psychologische Tests zum Einsatz.» 

Mitarbeitende, die in die Interventionseinheit wechseln möchten, müssen einen psychologischen Test bestehen.

Natur und Sport fürs Mentale

Doch wie war es für die Polizistin, nach so einem Vorfall in den Dienst zurückzukehren? Im Gespräch erklärt sie, dass sie nach dem Vorfall keine Auszeit benötigt habe. Sie sei mental schon immer sehr stark gewesen und könne gut abschalten. Nach einer belastenden Situation gehe sie gern in die Natur und treibe Sport. Überraschenderweise habe ihr dieser Vorfall nichts ausgemacht. Sie sei nicht ängstlicher geworden, sagt sie. Eine grosse Rolle spiele dabei auch ihr Team. «Wir unterstützen uns immer gegenseitig und sind füreinander da. Alle, auch der Chef, haben stets ein offenes Ohr für mich.»

Der Angriff hat die Polizistin nicht ängstlicher gemacht. Foto: Jonathan Labusch

Doch was, wenn ein Polizist oder eine Polizistin wirklich mal eine Auszeit braucht? Heinz Dinkelacker sagt: «Das ist möglich und kann auch sehr sinnvoll sein. Ausschlaggebend für eine solche Massnahme kann ein ärztliches Zeugnis sein, oder sie wird von der vorgesetzten Person aus betrieblichen Gründen unterstützt oder angeordnet.»

Für Betroffene sei wichtig, zu wissen, sagt die Polizistin, dass sie nach einem schweren Fall jederzeit therapeutische Unterstützung in Anspruch nehmen könnten. Dies sei jedoch ein Angebot und keine Pflicht, sagt sie – die Entscheidung liege allein bei den betroffenen Mitarbeitenden.

Videos mit Verhaftungen sind schlimmer

Beim Gespräch mit der Polizistin fällt auf, dass der Vorfall für sie nicht das Schwierigste war, sondern andere Faktoren: Social Media, die Presse und Anfragen aus der Politik. Oftmals sehe man auf Social Media oder in Onlineartikeln ein Video, in dem Polizisten oder Polizistinnen eine Person verhafteten, sagt die Polizistin. Oftmals aussen vor gelassen würden die Ereignisse, die davor passiert seien. Dass die Person davor zum Beispiel mit Gläsern geworfen oder Passanten belästigt hat und Einsatzkräften zu nahe gekommen ist, wird oftmals nicht gezeigt. Am Ende sieht es also immer so aus, als würde die Polizei ungerechtfertigt handeln.

Die Demonstrierenden zerstörten unter anderem auch einen Einsatzwagen der Stadtpolizei. Foto: PD

Genau das belastet die Polizistin und ihr Team oftmals sehr. Da sei man an einem Einsatz dabei, gebe alles, damit möglichst nichts Schlimmes passiere, und werde danach so dargestellt, als sei man im Unrecht, als sei man unfair gegenüber einer Bürgerin oder einem Bürger gewesen. Natürlich beschäftigten sie die Einsätze auch, sagt die Polizistin. Vor allem aber ist für sie belastend, dass häufig nur ein Teil der Geschichte an die Öffentlichkeit gelangt. 

Die Polizistin wünscht sich deshalb vor allem eins: dass keine voreiligen Schlüsse über einen Einsatz gezogen werden und dieser von allen Seiten beleuchtet wird.

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