«Es ist gefüttert mit allem, was es im Internet findet.»
Von Ania Zürcher Romero / Klasse 5b, Gymnasium Freudenberg / November 2024
Mit dem Aufstieg der künstlichen Intelligenz im Journalismus entstehen neue Herausforderungen. Denise Bucher, Kulturredakteurin der NZZ am Sonntag, erklärt die Auswirkungen von KI auf ihre Arbeit.
Denise Bucher (46), Kulturredakteurin der NZZ am Sonntag
Mit dem Aufstieg von KI werden manche Stellen gestrichen und durch künstliche Intelligenzen ersetzt. Glauben Sie, dass Ihre Arbeit in der Zukunft noch nötig sein wird?
Ja, ich hoffe es. Momentan ist ChatGPT ein Modell, welches aufgrund von Wahrscheinlichkeit Sätze zusammenbaut. Es hat kein Bewusstsein und kann nicht kritisch denken. Solange KI das nicht kann, sind wir nicht bedroht, weil sich unsere Arbeit v.a. damit befasst, verschiedene Informationen miteinander zu verbinden und daraus Schlüsse zu ziehen. Wir müssen so schreiben, dass es gut zu lesen ist, auch provozieren und polemisch zu argumentieren – das kann KI alles nicht.
Heisst das, dass Ihre Arbeit gefährdet ist, sobald ChatGPT ein Gewissen entwickelt?
Wenn KI irgendwann ein Bewusstsein entwickelt, dann ist es wieder eine neue Frage. Aber ich denke nicht, insbesondere in den Bereichen Kultur und Kunst, wenn es um Ästhetik und um Gefühle geht, dass wir uns Sorgen machen müssen.
Von Texte erstellen über Bilder rekreieren, kann KI mittlerweile vieles. Welche Funktionen verwenden Sie am meisten?
Ich mache fast alles selbst. Am Anfang, als ChatGPT populär wurde, haben wir ein bisschen rumgespielt, aber schnell gemerkt, dass es vieles nicht kann. Gelegentlich benutze ich es bei Übersetzungen, aber nur für einzelne Sätze oder Wörter. Wenn jemand einen ganzen Text von einer KI übersetzen liesse, müsste das offengelegt werden.
Macht es Ihre Arbeit einfacher, oder ist es nur ein «Extra»?
Ich habe das Gefühl, es ist wie bei vielen technischen Neuerungen: Zuerst hat man Angst und dann merkt man, es ist eigentlich ein interessantes Werkzeug. Ich höre von Kollegen, die es einsetzten, um Ideen für Schlagzeilen zu finden.
Was würden Sie an der künstlichen Intelligenz verbessern?
„«Das Ding ist nur ein Spiel, aber ernstnehmen kann man es im Kulturjounalismus noch nicht.»“
Ich finde, es ist ein grosses Problem, dass es die Quellen nicht angibt. Viele Autoren klagen, dass es ihre Texte nimmt, obwohl sie urheberrechtlich geschützt sind. Dasselbe gilt für Fotografen, Malerinnen, Filmschaffende, Musiker, einfach alle, die kreativ arbeiten …
Muss man es angeben, wenn Texte mit KI erstellt wurden?
Der «Blick» benutzt KI. Da steht bei Artikeln neben der Namen der Autorinnen und Autoren auch der BliKI. So heisst ihr KI-Maskottchen. Generell kann KI wohl dort nützlich sein, wo es nur darum geht, Fakten zusammenzufügen, vielleicht Tabellen mit Sportresultaten zu füllen.
Wie überprüft man die Glaubwürdigkeit der Antworten von ChatGPT?
ChatGPT kann man als Quelle nicht trauen. Man muss alles verifizieren, entweder mit Google, Büchern oder mit eigenem Wissen. Sonst kommen die abstrusesten Informationen raus.
Es gibt ja auch gewisse Tools zum Transkribieren. Wie funktionieren diese?
Wir haben auch Tools im Journalismus, um solche Aufgaben zu erledigen. Ein Audiofile wird dort hochgeladen und ein einigermassen brauchbarer Text kommt heraus. Manchmal wiederholt es sich und zeigt den gleichen Satz an oder Wörter werden nicht richtig verstanden. Überarbeiten muss man es dennoch, darum glaube ich nicht, dass es wirklich zeitsparend ist.
„«Ich hätte Angst, mein Gesicht würde für Unsinniges benutzt werden.»“
Sie haben sicher schon mal von Tom Kummer gehört. Im Jahre 2000 wurde aufgedeckt, dass er grosse Teile seiner Interviews erfunden hatte. Für mich hört es sich an, als könnte es immer einfacher werden Interviews zu faken. Wie sehen Sie das?
Das ist ein Riesenproblem, und zwar glaube ich vor allem, wenn es Video-Interviews sind und nicht schriftlich. Früher war es einfach, sich ein Interview mit einer berühmten Person zu verschaffen. Heute hingegen kontrollieren PR-Agenturen, mit wem ihre Stars reden. Man könnte nur schwer etwas erfinden.
Mittlerweile kann KI auch Videos erstellen. Stellt das ein grösseres Problem dar als gedacht?
Ich finde diese «Deep Fake Videos», bei denen man einen Politiker nehmen kann, und ihre Stimme oder Gesicht manipulieren kann, extrem beunruhigend. Sobald ein solches Video online ist, ist es sehr schwierig, das wieder zu korrigieren. Ich hätte Angst, wenn ich beim Fernseher arbeiten würde, dass mein Gesicht für Unsinniges benutzt werden würde.
Die Leserschaft wird immer mehr von künstlich erstellten Texten geblendet. Wie können sie merken, ob ein Text mit KI erstellt wurde?
Der Unterschied zwischen ChatGPT und einem journalistischem Text ist minim. Die immer anständige Sprache von ChatGPT, welche dem PR-Speech von Kommunikationsabteilungen von Unternehmen gleicht, die darauf achten, dass die Aussagen ihrer Leute möglichst seifig und ja nicht angriffig klingen. Ich glaube, das merkt man nicht. Schriftlich merkt man es wirklich nicht.