«So viele Feminizide dürfen wir nicht einfach so hinnehmen»

Von Iria Senti & Jana Sittig / Klasse 5b, Gymnasium Freudenberg / November 2024

In der Schweiz wird alle zwei Wochen eine Frau von einem Mann getötet – ein alarmierendes Zeichen für den dringenden Bedarf an Schutz für Frauen. Frauenhäuser wie das «Frauenhaus Zürich Violetta» bieten diesen Schutz, stossen aber zunehmend an ihre Grenzen.

 

Vor 50 Jahren wurde in Zürich das erste Mal etwas gegen häusliche Gewalt an Frauen unternommen. Als ursprüngliche Inspiration galt Erin Pizzey, die 1971 das erste Frauenzentrum in London gründete, was sich später zu einem Frauenhaus entwickelte. Die Bewegung gegen häusliche Gewalt an Frauen und Kindern dehnte sich aus, bis sie auch Zürich erreichte, wo 1977 ein Verein gegründet wurde mit dem Ziel dieses Thema zu enttabuisieren.

Nach dessen Kontaktaufnahme mit dem Kantonsrat Armand Meyer, reichte dieser eine Interpellation ein, mit der Aufforderung Notunterkünfte und Beratung für Gewalt betroffene Frauen bereitzustellen. Der hauptsächlich aus Männern bestehende Kantonsrat wollte den Verein aber nicht unterstützen und sagte: «Frauen provozieren Gewalt in der Ehe, sind also selber schuld an ihrem Leid und die Männer sind die eigentlichen Opfer, als Beschuldigte. Durch die Schaffung eines Frauenhauses kann die Frau der Konfliktbewältigung aus dem Weg gehen und die Ehe ‹als Urzelle des Staates› somit zerstören.» Also musste der Verein selbst handeln und mit wachsenden Mitgliederzahlen und Spenden konnte eine Beratungsstelle und später (1979) eine erste Notwohnung finanziert werden.

Deren Kapazität reichte aber bei weitem nicht aus und hatte zur Folge, dass 1980 die Stiftung Frauenhaus Zürich gegründet wurde, die staatliche Mittel für die Schutzgebung und wirtschaftliche Unterstützung forderte. Durch den Beistand unterschiedlicher Politikerinnen wurde dies ermöglicht. 2020 erhöhte das Sozialamt des Kanton Zürichs die Subventionen gemäss der Istanbul-Konvention, die zwei Jahre zuvor von der Schweiz unterschrieben worden war.

Frauenhaus Zürich Violetta

Diese Statistik zeigt die Gesamtergebnisse der 22 Frauenhäuser und einem Mädchenhaus in der Schweiz im Jahr 2023. Die Häuser befinden sich in unterschiedlichen Kantonen, drei davon sind im Kanton Zürich zu finden.

(Statistik aus dem DAO-Jahresbericht 2023)

Das Frauenhaus Violetta wurde 1996 speziell für Migrantinnen eröffnet. Nach dem Zusammenschluss mit dem Frauenhaus Zürich 2013 entstand das heutige Frauenhaus. Dieses bietet, wie jedes Andere der Schweiz Frauen und ihren Kindern Schutz, wenn sie akut von häuslicher Gewalt betroffen sind. Bei einem Anruf an die Helpline wird abgeklärt, ob ein Aufenthalt notwendig und passend ist. Wenn dies nicht der Fall ist, kann man sich auch nur beraten lassen und ist nicht verpflichtet ins Haus einzutreten. Ansonsten wird ein Treffpunkt vereinbart, von welchem man zum Haus geführt wird. Denn die Adresse jedes Frauenhauses ist geheim, damit Schutz gewährleistet werden kann.

Im Jahr 2023 wurde die Helpline 961-mal angerufen und auch das Frauenhaus Zürich Violetta ist und war stark ausgelastet. Es gab immer wieder Fälle, die nicht ins Haus aufgenommen werden konnten auf Grund von Platzmangel oder nicht erfüllten Opferkriterien. Zu diesen gehören starke physische, psychische, sexuelle, soziale und ökonomische Gewalt. Die Straftat muss in der Schweiz vor weniger als 3 Monaten geschehen sein.

Die DAO setzt sich als Dachorganisation der Frauenhäuser der Schweiz und Lichtenstein auf nationaler Ebene dafür ein. Als eine unabhängige, gemeinnützig anerkannte Non-Profit-Organisation ist sie steuerbefreit. Der Tagestarif wird meist von der jeweiligen kantonalen Opferhilfestelle übernommen. Ihr Ziel ist die ausreichende Finanzierung der Frauenhäuser wobei sie auf Mitgliederbeiträge, Spenden oder Projektbeiträge angewiesen sind.

In den letzten Jahren sind die Frauenhäuser der Schweiz zunehmend mehr ausgelastet. Innerhalb eines Jahres ging die Auslastungsquote von 55% in 2021 zu 80% im Jahr 2022. Dies liegt, nach DAO-Vorständin Silvia Vetsch im SRF-Interview 2023, jedoch nicht an der 3.3% Zunahme der häuslichen Gewalt. Sondern viel mehr daran, dass diese mehr in den Medien thematisiert wird. Viele betroffene Frauen werden so auf die Hilfestellung aufmerksam und melden sich.


«Wir dürfen uns nicht an Gewalt gewöhnen!»

Anja Derungs ist seit 2023 Geschäftsführerin der Stiftung Frauenhaus Zürich. Dort ist sie zuständig für Fundraising und Personalführung sowie Bildungs-und Öffentlichkeitsarbeit.

 

Wie sind Sie zu dieser Stelle als Geschäftsführerin des Frauenhauses Zürich Violetta gekommen?

Ich bin seit ein eineinhalb Jahren in dieser Position, vorher habe ich elf Jahre die Leitung von der Fachstelle für Gleichstellung Stadt Zürich innegehabt. Zuvor habe ich bei der Flüchtlingshilfe und Caritas Schweiz gearbeitet. Daher war es kein fremdes Umfeld und ein schöner Übergang von der einen Stelle zur anderen. Der Kreis schliesst sich, da ich denke, dass die fehlende Gleichstellung Grund für häusliche Gewalt und Gewalt an Frauen ist.

Hat sich ihr Männerbild durch ihre Arbeit verändert?

Es braucht immer einen gewissen Abstraktionsgrad bei allen Themen. Gewalt an Frauen ist leider ein alltägliches Thema, das unser nächstes Umfeld betrifft, also ein Umfeld, das eigentlich für Geborgenheit und Sicherheit steht. Ich habe mich schon immer mit Männlichkeitsvorstellungen und Geschlechterstereotypen befasst. Gewalt fängt ja auch schon im Kleinen an, bei sexistischen Witzen und Dominanzgebaren beispielsweise.

Wie ist die Stimmung im Frauenhaus?

Es ist wie eine grosse WG mit Frauen, die eigentlich ungewollt in diese Situation gekommen sind, bei denen aber im Vordergrund steht, dass sie erstmal zur Ruhe kommen können. Natürlich kommt es auch zu Konflikten, vor allem weil es laut werden kann mit Kindern und sich dies nicht alle gewohnt sind. Aber auch weil viele Frauen und ihre Kinder einfach sehr belastet von der derzeitigen Situation sind. Dafür gibt es auch Gruppensitzungen und -aktivitäten. Und das Schöne ist: Es entwickeln sich auch Freundschaften.

Kommen viele unterschiedliche Frauen zu ihnen?

Ja sehr, jedoch gibt es trotzdem Auffälligkeiten wie zum Beispiel Kinder im Vorschulalter und Frauen zwischen 26 und 40 Jahren. Das liegt an Veränderungen und Unterbrüchen im Leben, wie zum Beispiel die Geburt eines Kindes, die Gewaltpotenzial haben können.

Weshalb sind die Frauenhäuser in den letzten Jahren immer stärker ausgelastet?

Die Istanbul-Konvention war wichtig, um das Thema breit in die Öffentlichkeit zu tragen. Es ist zugleich auch der Druck von feministischen Organisationen, von der Gleichstellungsbewegung, denen wir die Sichtbarkeit zu verdanken haben.

Was passiert, wenn es keine freien Plätze mehr hat?

Es gibt drei Frauenhäuser im Kanton Zürich und wir wissen immer, wo es noch freie Plätze hat. Man kann es sich wie ein Hotel vorstellen: Es muss auch immer für die Frau passen, je nach dem, ob sie noch Kinder dabeihat. Wir schicken Frauen aus dem Kanton oder aus der Stadt Zürich ungern in andere Frauenhäuser in anderen Kantonen. Manchmal sind wir dazu gezwungen wegen Platzmangel oder aus Sicherheitsgründen. Jedoch wollen wir sie möglichst nicht aus ihrem sozialen Umfeld herausreissen.

Wie wird das Haus geschützt?

Schutz und Sicherheit haben oberste Priorität. Das brauchen akut von Gewalt betroffene Frauen. Deshalb ist der Standort anonym. Und im Notfall rufen wir die Polizei.

Was geschieht nach dem Aufenthalt im Frauenhaus?

Es gibt verschiedene Anschlusslösungen, die jeweils bedarfsgerecht sein müssen. Anschlusslösungen an die Krisenintervention im Frauenhaus sind aber immer ein grosses Thema und nicht so einfach zu finden. Wir selbst haben in der Stiftung ein Nachbetreuungsangebot, das sogenannte VistaNova, das ist eine Wohngemeinschaft, und wir haben auch einzelne Wohnungen. Der Hintergrund ist dabei die Nachhaltigkeit des Aufenthalts, da dieser gemäss Operhilfsgesetz nur 35 Tage finanziert wird und manche Frauen längere Zeit für die Stabilisierung brauchen.

Was sind ihre Pläne für die Zukunft für die Verbreitung von Frauenhäusern in Zusammenarbeit mit der DAO?

Ich bin selber Vorständin in der DAO. Ein grosses Thema im Sinne der Istanbul-Konvention ist, dass wir barrierefrei werden, also der Zugang auch für Frauen mit körperlicher Beeinträchtigung möglich ist. Wir wollen nicht mehr so viel mit Platzmangel zu kämpfen haben müssen. Ausserdem sollen unsere Mitarbeiterinnen ihre Arbeit gut bewältigen können, denn zurzeit liegt sehr viel Druck auf ihnen. Andererseits ist es ein Ziel von mir, den Frauen besser und auf eine nachhaltige Weise aus einer Gewaltsspirale heraushelfen zu können. Zudem müsste das Thema häufiger und offener angesprochen werden, damit Frauen weniger mit Scham-oder Schuldgefühlen zu kämpfen haben. Auch dürfen wir uns nicht an Gewalt gewöhnen. Das Lernen über Beziehungen und Gewalt sollte Teil der Schulbildung sein, wie die Verkehrssicherheit.

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